Der Massenmörder Fritz Angerstein

Der Fall Fritz Angerstein war einer größten Massenmörderprozesse in der Weimarer Republik und wurde von einem Medienspektakel begleitet. Vor allem die Spekulation über das Motiv Angersteins gibt bis heute Rätsel auf und so gehört der Fall zu einem der spannendsten in der Deutschen Kriminalgeschichte.

Der Geburtsort Dillenburg von Fritz Angerstein um 1900

 
Fritz Heinrich Angerstein wurde am 3. Januar 1891 in Dillenburg als siebtes von zehn Kindern geboren. Sein Vater arbeitete als Zimmermann und Stahlarbeiter und war zeitweise auch Bürgermeister. Angerstein selbst hatte während seiner Kindheit mit mehreren gesundheitlichen Probleme zu kämpfen, so musste ihm z.B. eine Rippe entfernt werden und er hatte mehrere Tuberkuloseerkrankungen zu überstehen. Nichtsdestotrotz bekam er bereits mit 14 Jahren eine Anstellung als Landvermesser und später als Prokurist in einer Kalksteinmine.

 
1911, im Alter von nur 20 Jahren, heiratete er Käthe Barth mit der er augenscheinlich eine gute Ehe führte, jedoch war das Verhältnis zur Schwiegermutter sehr angespannt und das Paar hatte zahlreiche Schicksalsschläge zu verkraften. So hatte Käthe im Laufe der Jahre sechs Fehlgeburten, wodurch sie bis zuletzt Kinderlos blieb, und litt neben schwerer Hysterie auch an einer Darmerkrankung. Sowohl die Kinderlosigkeit, als auch der Umgang mit den Erkrankungen, führte letztlich auch zum Konflikt zwischen Fritz und seiner Schwiegermutter, da diese u.a. das Essen für Käthe verbrannt haben soll und die Ernährung oft auf Suppe reduzieren wollte. Dies führte soweit, dass Fritz seine Schwiegermutter einmal sogar mit einer Hundepeitsche angriff, als Käthe wegen ihr kurzzeitig von zu Hause getürmt war.





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Auch Fritz selbst litt weiterhin unter Tuberkulose und so beschloss das Paar 1921 einem gemeinsamen Selbstmord durch Ertrinken, denn sie erst im letzten Augenblick abbrachen. Kurze Zeit später bekam Fritz von seinem Arbeitgeber die Möglichkeit in eine große Villa in Haiger umzuziehen, dort hatte er fortan ein Büro im Erdgeschoss für sich und seine Assistenten. Im Obergeschoss war die Wohnung für ihn, seine Frau, die Schwiegermutter und die Schwägerin untergebracht. Darüber hinaus gab es noch eine Dachbodenwohnung für die Magd.

Die Mordvilla in Haiger auf einer historischen Postkartenansicht

 
Da Angerstein, trotz seiner nun kostenlosen Wohnverhältnisse und einem Einkommen von 320 Reichsmark, in finanziellen Schwierigkeiten war, begann er von seinem Arbeitgeber Geld zu veruntreuen. In den drei Jahren bis zu jenem unheilvollen Massenmord, kamen laut Gerichtsakte 14.892 Reichsmark zusammen.
Am Freitag den 28. November 1924 sah Fritz wie Käthe ihre letzten Wünsche in ein Notizbuch schrieb, da sie mit ihrem baldigen Ableben rechnete. Am nächsten Morgen konfrontierte ihn ein Mitarbeiter mit den Unstimmigkeiten bei der Lohnbuchhaltung, die er entdeckt hatte. Als Käthe auch noch Erbrechen, blutigen Durchfall, Herzprobleme und Ohnmachtsanfälle bekam, sollte der Schrecken seinen Lauf nehmen.

 
In der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember soll Angerstein die Telefonleitungen und mehrere Wasserleitungen beschädigt haben, ehe er sich schlafen legte. Kurz nach Mitternacht wurde er wach, als seine Frau unter starken Herzschmerzen litt und die Schwiegermutter wurde hinzugerufen. Er wechselte noch die Laken seiner Frau, während die Schwiegermutter bei ihr war. Zu diesem Zeitpunkt soll Fritz endgültig den Entschluss gefasst haben sich und Käthe zu töten, schließlich hatte sie ihm gegenüber schon einmal geäußert, dass sie in der gleichen Stunde wie er sterben wolle.
Nach einem Ohnmachtsanfall seiner Frau, holte Fritz den Revolver aus einem Nebenzimmer. Als er zurückkehrte, war Käthe jedoch kurzzeitig wieder wach und soll ihm mit den Worten „Seine eigene Frau, Herr, vergib ihm!“ den Revolver aus der Hand genommen haben. Fritz war von seinem Vorhaben aber nicht mehr abzubringen und als seine Frau kurz danach den nächsten Ohnmachtsanfall bekam, nahm er seinen Jagddolch und tötete Käthe mit 18 Messerstichen.

 
Um die Tat zu vollenden ging Fritz anschließend in sein Arbeitszimmer und richtete den Revolver gegen sich selbst. Zum großen Unglück für die noch folgenden Opfer, ging der Revolver jedoch nicht los und so sollte das Unheil erst richtig an Fahrt auf nehmen. Auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit sich zu töten fand Fritz nur eine Axt, als gerade in diesem Moment die Schreie seiner Schwiegermutter von oben zu vernehmen waren. Er eilte zurück und tötete nun auch seine Schwiegermutter. Später gab er an, dies aufgrund der schlechten Behandlung von Käthe, getan zu haben. Dies wiederum wurde von der Magd bemerkt, die noch versuchte wegzulaufen als sie das Blutbad sah, jedoch von Fritz eingeholt und durch einen Axthieb ebenfalls ihr Leben lassen musste. Nach dem dritten Mord wusch Angerstein die Axt und seine Hände und soll sich sogar kurz wieder hingelegt haben – Die Mordserie selbst sollte aber noch längst nicht zu Ende sein.

Das beschauliche Haiger, hier auf einem historischen Stahlstich, wurde Schauplatz eines der grausamsten Verbrechen der Weimarer Zeit

 
In der späteren Nacht kam Angersteins 18-Jährige Schwägerin Ella Barth von einer Zugfahrt nach Hause und ging Richtung Badezimmer. Fritz, der die Ankunft mitbekam, folgte seiner Schwägerin und tötete auch sie mit der Axt. Danach deckte er die Leiche zu, um den Anblick nicht ertragen zu müssen.
Um 7 Uhr früh erschienen der Buchhalter Reinhold Diethardt und der Angestellte Heinrich Kiehl im Erdgeschossbüro um mit der Arbeit zu beginnen. Fritz rief beide nacheinander in sein Arbeitszimmer und erschlug sie hinter verschlossener Tür. Im weiteren Verlauf sollte auch noch der Gärtners Alex Geiß und der Angestellte Rudi Darr folgen. Insgesamt fielen dem Todesrausch von Fritz Angerstein damit acht Menschen zum Opfer.

 
Nachdem keine weiteren Personen mehr zu erwarten waren, begann Fritz mit dem Versuch seine Taten zu vertuschen. Hierfür verteilte er Benzin in mehreren Räumen und ging anschließend Einkaufen, um nach aussen hin zu zeigen, dass alles in Ordnung sei. Bei seiner Rückkehr legte er einen Brand, der sich jedoch nicht vollständig ausbreitete und fügte sich mehrere Wunden zu, ehe er Hilfe verständigte.
Den anrückenden Helfern und der Polizei erzählte er von einer Bande, die alle im Haus getötet und auch ihn verletzt hätte. Anschließend wurde er ins Haiger Krankenhaus gebracht, während die Polizei nach den imaginären Banditen fandete und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt wurde.

 
Während die Medien noch die Geschichte der Mordbande verbreiteten, ergaben die nun einsetzenden Ermittlungen erste Zweifel an Angersteins Geschichte. So passte die bereits eingesetzte Totenstarre bei den Leichen nicht mit dem von Fritz angegebenen Tatzeitpunkt zusammen. Darüber hinaus fanden sich seine Spuren, in Form von Fingerabdrücken, sowohl auf den Opfern als auch auf dem Jagddolch mit dem er seine Frau erstochen hatte.
Noch während Fritz im Krankenhaus war wurde er einem Verhör unterzogen, zumal mittlerweile auch seine Geldunterschlagung ans Tageslicht kam. Zu diesem Zeitpunkt versuchte er noch die Morde zu leugnen, verstrickte sich aber in Widersprüche und wurde im Krankenbett unter Haft gestellt. Die Schlinge um seinen Hals zog sich enger.
Nach der fertigen Autopsie der Opfer wurde Fritz erneut mit seiner Schuld konfroniert und sah bald keine Möglichkeit mehr die Taten abzustreiten. In Anwesenheit eines Polizisten gestand er seinem Bruder schließlich alle acht Morde.

Im Zentralgefaengnis Freiendiez verbrachte Fritz Angerstein seine letzten Tage und fand auch den Tod

 
Der Prozess gegen Fritz Angerstein war für den 6. Juli 1925 am Schwurgericht des Landgerichts Limburg angesetzt und wurde von einem großen Medienecho bekleidet. Bereits zwei Wochen vor den Verhandlungen war Fritz nach Limburg überstellt worden.
Insgesamt war er für 13 Verbrechen angeklagt, darunter neben den acht Morden auch Unterschlagung, Brandstiftung, Meineid und Dokumentenfälschung. Schuldig gesprochen wurde er schlussendlich „nur“ für die Morde, was ihm aber natürlich nichts brachte: So wurde er für jeden Mord, also insgesamt acht Mal, zu Tode verurteilt und für seine restlichen Tage komplett seiner Bürgerrechte beraubt. Dennoch akzeptierte er das Urteil und sagte vor Gericht:

Ich will keine Gnade, meine Tat kann nur durch den Tod gesühnt werden.

Seine letzten Tage verbrachte Angerstein im Zentralgefängnis Freiendiez in Diez. Vor seiner für den 17. November 1925 angesetzten Hinrichtung soll er alle Speisen zurückgewiesen haben und nur noch ein Glas Wein getrunken haben. Die Frage ob er noch etwas zu sagen habe quittierte er mit einem „Nein“, ehe Henker Carl Gröpler ihn im Hof des Gefängnisses mit einem Axthieb enthauptete.
Die wahren Motive für seinen Blutrausch werden wohl nie vollständig aufzuklären sein, er selbst gab als Motiv vor Gericht die Liebe zu seiner Frau an. Damit erklärt sich aber nicht, wie er in einen derartigen Blutrausch verfallen konnte, nachdem sein eigener Selbstmordversuch missglückt war.